Geschichte der deutschen neurologischen Intensivmedizin und der ANIM/DGNI

Patienten mit schweren und schwersten Erkrankungen des Nervensystems wurden früher auf konservativen oder operativen Intensivstationen (meist von Konsilneurologen) betreut, bevor in den 60er und 70er Jahren in Deutschland erste spezifische Neuro-Intensivstationen entstanden. Eine der ersten war die 6-Betten Neuro-Intensivstation der Universitätsklinik Gießen, die 1965 von Prof. Dr. med. Friedrich Erbslöh eröffnet wurde. Bald folgten weitere Neuro-Intensivstationen in Köln-Merheim, Hamburg, Würzburg, Göttingen, Erlangen, München, Berlin sowie dem heutigen Chemnitz. Auf diesen Stationen wurden Patienten mit schweren, v.a. hämorrhagischen Schlaganfällen, Subarachnoidalblutungen, Status epilepticus, ZNS-Infektionen, mitunter auch Schädel-Hirn-Trauma und Hirntumoren behandelt und insbesondere auch beatmet. Bei der DGN-Jahrestagung 1973 in Gießen stand die Neuro-Intensivmedizin erstmals auf dem Programm, war auch gleich erstes Hauptthema und wurde damals auch von der Bundesärztekammer und dem Deutschen Ärztetag anerkannt. Zu diesem Zeitpunkt ging man von 8 spezifischen Neuro-Intensivstationen in Deutschland aus. In den 80er Jahren entwickelten sich verstärkt weitere Spezialstationen und mit ihnen die Etablierung von Neuromonitoring – Methoden und spezifischere Neuro-Intensivmedizin-Therapien.

Am 28.01.1984 fand an der Neurologischen Universitätsklinik in Essen auf Einladung des damaligen leitenden Oberarztes Herrn Prof. Dr. Johannes Jörg, später Direktor der Neurologischen Klinik in Wuppertal, ein informelles erstes Arbeitstreffen zur neurologischen Intensivmedizin statt. Ziel war ein gemeinsamer Erfahrungsaustausch zwischen den auf einer neurologischen Intensivstation tätigen Ärzten, Pflegekräften und Physiotherapeuten. Diese Veranstaltung kann als erster Impuls oder gar Geburtsstunde der ANIM (Arbeitsgemeinschaft neurologische Intensivmedizin) angesehen werden. Etwa 50 Teilnehmer waren persönlich eingeladen. Ziel war eine breite, kollegiale Diskussion aktueller neurologisch- intensivmedizinischer Probleme.

In den folgenden Jahren fanden weitere Arbeitstagungen – in Aachen im Jahr 1985 sowie in Hamburg 1986 – statt. Während der 3. Jahrestagung der neurologischen Intensivmedizin in Hamburg wurde am 23.01.1986 die Arbeitsgemeinschaft Neurologischer Intensivmedizin (ANIM) im Anglo-German-Club an der Alster offiziell gegründet. In der ursprünglichen Satzung wurden als Ziele der Arbeitsgemeinschaft der Erfahrungsaustausch, die klinische Fortbildung und die Förderung der Wissenschaft in der neurologischen Intensivmedizin formuliert. Vorrangig war die Förderung enger Verbindungen zwischen ärztlichem und pflegerischem Bereich und des Kontaktes zwischen der Arbeitsgemeinschaft und der Deutschen Gesellschaft für Neurologie.

In der Folgezeit wurden jährlich Arbeitstagungen der ANIM durchgeführt. Alle Tagungen erfreuten sich einer großen Beliebtheit und zählten etwa 1.000 Besuchern. Sie waren immer ein Treffen junger und erfahrener Neurologen, die sich für die neurologische Intensivmedizin einsetzen. Seit 1991 ist die Arbeitsgemeinschaft ein rechtsfähiger Verein und führt seit dem Jahr 2000 den Zusatz „…und Notfallmedizin“ im Namen. 

Die Anzahl der Mitglieder der ANIM von anfangs 75 nahm seit der Gründung 1986 ebenfalls rasch zu. Bereits 1994 zählte die Arbeitsgemeinschaft 338 Mitglieder. 2002 wurde die Arbeitsgemeinschaft zur Deutschen Gesellschaft für Neurologische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGNI), eine sog. Schwerpunktgesellschaft der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Das Akronym ANIM blieb und bleibt seitdem als Bezeichnung der Jahrestagungen erhalten.

Geschichte der deutschen neurochirurgischen Intensivmedizin

Die Einrichtung neurochirurgischer Intensivtherapie-Stationen führte zur Entstehung der AG Neurotraumatologie und neurochirurgische Intensivmedizin innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie (DGNC) Anfang der 70er Jahre. Am 20.11.1973 versammelte sich diese Arbeitsgemeinschaft Intensivmedizin erstmals in Gießen. Strukturfragen, die Organisation einer Intensivstation sowie auch die Fragen der Therapie der vielfältigen intensivpflichtigen neurochirurgischen Erkrankungen machten eine gemeinsame wissenschaftliche Koordination notwendig. Parallel dazu wurden auch Fragestellungen zu Schädel-Hirn-Traumen immer dringender. Dazu traf sich eine Arbeitsgruppe Schädelhirntrauma am 11.12.1976 in Düsseldorf. In beiden Gruppen arbeiteten dieselben Personen. Die erste komplexe Fragestellung in beiden Arbeitsgruppen war die Frage nach der Wirksamkeit von Steroiden bei der Behandlung des Hirnödems. 

Die Arbeitsgemeinschaft Intensivmedizin ist die erste Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie. Im Jahr 2020 wurde die Sektion Intensivmedizin und Neurotraumatologie im Rahmen der Neurostrukturierung der Sektionen der DGNC mit der Sektionen Intrakranieller Druck, Hirndurchblutung und Hydrocephalus sowie der Sektion Neurorehabilitation zur neuen Sektion Neurotrauma und Intensivmedizin fusioniert.

Neben der traditionellen Ausrichtung von zwei Symposien bei der ANIM zu aktuellen Themen der neurochirurgischen Intensivmedizin und Neurotraumatologie ist die Sektion Neurotrauma und Intensivmedizin seit vielen Jahren bei der Jahrestagung sowie den Sektionstagungen der DGNC engagiert, um den Austausch neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse sowie die Ausbildung junger Kollegen zu ermöglichen. Viele Mitglieder der DGNC sind auch Mitglieder der DGNI und/oder Teilnehmende / Beitragende der ANIM.

Die heutige DGNI – Deutsche Gesellschaft für NeuroIntensiv- und Notfallmedizin

Aufgrund der sehr ähnlichen Interessenlage der Deutschen Gesellschaft für Neurologische Intensivmedizin und Notfallmedizin und der Sektion Intensivmedizin und Neurotraumatologie der DGNC schlossen sich diese Mitte 2008 zur Deutschen Gesellschaft für NeuroIntensiv- und Notfallmedizin (DGNI) zusammen, um klinische und wissenschaftliche Aktivitäten zu bündeln und die NeuroIntensivmedizin zu stärken.

Die ANIM hat sich damit über die Jahre zum größten europäischen Kongress für NeuroIntensiv- und Notfallmedizin entwickelt. Die Erstellung des Kongressprogramms erfolgt gemeinsam u.a. mit den Partnergesellschaften Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG), ADNANI (Arbeitsgemeinschaft Deutschsprachiger Neuroanästhesisten und Neuro-Intensivmedizin), Deutsche Gesellschaft für Neurorehabilitation (DGNR) sowie der Deutschen Gesellschaft für Liquordiagnostik und Klinische Neurochemie. Die zunehmend internationalere Ausrichtung der ANIM zeigt sich durch die Wahl des Austragungsorts Wien im Jahr 2017 und die Joint Meetings mit der US-amerikanischen Neurocritical Care Society 2013 in Mannheim, 2018 in Würzburg sowie 2024 in Kassel.

Im Rahmen der ANIM vergibt die DGNI zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Neurologie alle zwei Jahre den Neurointensiv Preis für therapierelevante ausgewiesene Forschung in der NeuroIntensiv- und Notfallmedizin. Seit 2016 schreibt die DGNI einen Nachwuchsförderungspreis aus. 2017 wurde erstmalig ein Pflegepreis (aktuell DGNI-Pflege- und Therapiepreis) vergeben sowie 2024 erstmalig ein DGNI Zukunftspreis für besonders innovative, zukunftsweisende Forschung der NeuroIntensiv- und Notfallmedizin. Im Jahr 2023 wurde einmalig der Wolfgang-Müllges-Preis vergeben. In Jahr 2009 erfolgte die Gründung der DGNI-Stiftung, aus deren Erlösen die wissenschaftlichen Preise sowie Forschungsvorhaben finanziert werden.  

Um die NeuroIntensivmedizin in Deutschland wissenschaftlich zu stärken und um gemeinsame multizentrische Studien durchzuführen, fand im Herbst 2010 erstmalig ein Arbeitstreffen von interessierten "jungen" Neurologen und Neurochirurgen mit Leitungsfunktionen auf Intensivstationen in Berlin statt. Die offizielle Gründung von IGNITE (Initiative of German NeuroIntensive Trial Engagement) erfolgte im Jahr 2011 in Dresden. Als Forschungsgruppe der DGNI wird hier oligo- oder multizentrische Forschung der Neuro-Intensiv- und Notfallmedizin betrieben. Über die Jahre konnten über 50 multizentrische, zum Teil wegweisende Studien erfolgreich initiiert, durchgeführt und publiziert werden. 

Zur Förderung der Weiterbildung wurde 2015 die Weiterbildungskommission gegründet, die an der Gestaltung von Weiterbildungsordnungen mitwirkt. Weitere Kommissionen der DGNI, welche sich für die Ziele und Zwecke der Gesellschaft gebildet haben und engagieren, sind die Leitlinienkommission, die Kommission Notfallmedizin, die Kommission DRG, die Kommission Social Media und seit neuestem auch die  Kommission Pflege.

Die DGNI ist Mitglied der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) und der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Internationale Kooperationen bestehen insbesondere mit der US-amerikanischen Neurocritical Care Society (NCS). Seit 2016 besteht eine Global Partnership zwischen der DGNI und der NCS. Weitere internationale Partnerschaften bestehen zur indischen Society of Neurocritical Care (SNCC) sowie zum MENA Chapter of the World Federation of Intensive and Critical Care Society. Mit diesen und anderen Fachgesellschaften sind u.a. Leitlinien, Konsensus- und Positionspapiere sowie Erhebungen oder Vorschläge zu Standards des Faches entstanden. Um dieser zunehmenden internationalen Vernetzung und Kooperation Rechnung zu tragen, wird die ANIM-Jahrestagung ab 2026 neben dem bestehenden Kongressprogramm mit zusätzlichen englischsprachigen Tracks ausgestattet.

Die DGNI vereint heute über 1200 Mitglieder aus Medizin, Pflege und Therapie und ist damit die größte Fachgesellschaft für NeuroIntensiv- und Notfallmedizin in Europa.