Auf der Arbeitstagung NeuroIntensivmedizin (ANIM) hat die DGNI in diesem Jahr wieder beeindruckende Arbeiten in den Bereichen Pflegewissenschaft, Pflege und Therapie, Nachwuchsförderung und Posterpräsentationen ausgezeichnet. Diese Preise spiegeln das Engagement und die Innovationskraft wider, die für die Weiterentwicklung der Neurointensiv- und Notfallmedizin unerlässlich sind.
In den folgenden Kurzinterviews hatten wir die Gelegenheit, mit den Preisträger:innen über ihre prämierten Arbeiten, ihre Motivation und ihre Visionen für die Zukunft der Neurointensiv- und Notfallmedizin zu sprechen.
Nadja Stadfeld, Trier,
DGNI Pflege- und Therapiepreis
Was bedeutet es für Sie und Ihre Arbeit, mit dem DGNI Pflege- und Therapiepreis ausgezeichnet worden zu sein?
Stadfeld: Erstmal habe ich mich sehr über die Einladung gefreut, im Rahmen dieser Veranstaltung das Thema meiner 2024 erfolgreich absolvierten Masterarbeit zum Thema „Advanced Practice Nursing aus der Sicht von Pflegefachpersonen in der Akutpflege der Neurologie“ präsentieren zu dürfen. Durch die Auszeichnung erfahre ich eine hohe Wertschätzung und für mich ist es eine Bestätigung meines wissenschaftlichen Tuns mit viel Anerkennung für meine Arbeit. Das fördert meine Motivation weiterzumachen, um etwas erreichen zu können, enorm. Meine Wünsche sind, mehr Transparenz und somit Anerkennung und Akzeptanz für die APN-Rolle auf allen Ebenen zu schaffen. Das APN-Konzept sollte, auch von Seiten der Gesundheitspolitik, stärker publik gemacht werden. Es ist wichtig, um langfristig den wachsenden Anforderungen in der Gesundheitsversorgung gerecht zu werden, die Versorgungsqualität zu verbessern sowie bestehende Versorgungslücken zu schließen. Mein Ziel ist die erfolgreiche Etablierung des APN-Konzepts im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Trier. Dafür habe ich bereits mit zwei weiteren Kommilitoninnen ein Konzept erarbeitet und mit der Pflegedirektion abgestimmt. Im weiteren Schritt soll das Konzept an spezielle Fachbereiche angepasst, spezifiziert und konkretisiert werden. Mein Ziel ist, die Pflege als Beruf, der die Menschen ganzheitlich betrachtet, in seiner Profession stärken und eine hohe Wissenschaftlichkeit in die Praxis zu bringen. Das gelingt natürlich nur, wenn man im Team gut zusammenarbeitet. Daher geht mein besonderer Dank an mein gesamtes Team des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder in Trier.
Wie intensiv haben Sie sich auf Ihre Präsentation vorbereitet?
Stadfeld: Dadurch, dass die Präsentation das Thema meiner Masterarbeit beinhaltete und ich mich im letzten Jahr sehr intensiv mit meiner Masterarbeit beschäftigt habe, hat es nicht mehr viel an Vorbereitung benötigt. Nach der Nominierung und der Zusage habe ich den Vortrag in einer PowerPoint-Präsentation gestaltet und die Präsentation geübt.
Haben Sie schon Pläne, wie Sie das Preisgeld einsetzen möchten?
Stadfeld: Da das Preisgeld für den Pflege- und Therapiepreis für private Zwecke dotiert war, habe ich auch vor, es dafür einzusetzen. Das passt gerade sehr gut in meine persönliche Situation, da ich mit meinem Partner zusammen ein Haus gekauft habe und wir im Juni eine Tochter erwarten. Dieser Ausgleich zum Beruf ist mir wichtig, um nochmal neue Energie zu tanken, damit ich nach meiner Elternzeit in meine neue Rolle als APN schlüpfen kann.
Dr. med. Jan Folkard Willms, Zürich/CH,
Posterpreis
Können Sie uns kurz einige zentrale Ergebnisse ihrer Forschung erläutern?
Willms: Seit 2016 sammeln wir auf unserer Neurointensivstation am Universitätsspital Zürich möglichst alle verfügbaren Daten unserer Patienten. Hierzu zählen neben den gemessenen Parametern am Patientenbett auch Laborwerte, Auswertungen von Bildgebungen, demographische Daten, krankheitsspezifische Daten etc. zum Teil also auch hochauflösende Daten, wie z.B. das EKG oder die ICP Kurve. Um das Ganze zu synchronisieren, zu speichern und zu sortieren haben wir eine eigene IT-Infrastruktur aufbauen müssen, unser ICU-Cockpit. Mittlerweile kommen wir auf eine beachtliche Datensammlung, auf Basis derer wir Algorithmen trainieren und validieren können.
Auch wenn die Algorithmen in den Trainings- und Validierungsdaten immer besser werden, so sehen wir bis heute keinen Einsatz im klinischen Alltag. Das hat vor allem regulatorische Gründe, denn Algorithmen gelten grundsätzlich als Medizinprodukt und müssen vor dem Einsatz in der «Live-Welt» zertifiziert werden. Diese Hürde ist aktuell zu hoch, nicht nur in der Schweiz, sondern weltweit.
Dank unseres ICU-Cockpits ist es uns jedoch möglich Algorithmen an Live-Daten unserer Patienten zu testen und zu validieren, ohne jedoch Einfluss auf das behandelnde medizinische Personal zu nehmen («Silent Validation»). Das heißt, wir können mit dem ICU Cockpit eine «Live-Parallelwelt» bauen, in der medizinisches Personal bereits mit Algorithmen oder besser «Unterstützungssystemen» arbeiten kann.
Wir haben nun die ersten Ergebnisse eines solchen Vergleiches: «reale Welt vs. Parallelwelt mit Unterstützungssystem». Hierzu haben wir einen Algorithmus genommen, der bei Patienten nach stattgehabter Subarachnoidalblutung kontinuierlich einen Risikoscore bezüglich der Entwicklung einer sekundären Verschlechterung bzw. Hirnschädigung (delayed cerebral ischemia) berechnet. Wir haben Hinweise dafür gefunden, dass mit Hilfe des Unterstützungssystems arbeits- und zeitinvasive Untersuchungen am Bett (neurologische Untersuchung) und in der Umgebung (Bildgebungen) eingespart werden konnten, ohne dass dadurch «etwas übersehen wurde» bzw. ein Patient gefährdet wurde.
In einer aktuell laufenden zweiten Studie (hier geht es um eine automatisierte EEG-Burst Suppression Erkennung) ergibt sich durch Befragung des Personals unter anderem auch, dass es den Arbeitsplatz attraktiver gestaltet. Neben dem medizinischen Fortschritt in der Behandlung ergeben sich somit auch Erkenntnisse, welchen Einfluss solche Unterstützungssysteme auch auf das Personal und am Ende auch auf Zeit- und Kostenmanagement haben könnten.
Wie sehen Sie die potenziellen klinischen Implikationen Ihres Modells für die Patientenversorgung?
Willms:Wir sehen nicht nur im Bereich der Intensivmedizin, sondern auch auf der normalen Bettenstationen ein hohes Potential für den Einsatz von solchen «KI erlernten Unterstützungssystemen».
In unserem speziellen Fall kann der Algorithmus das Personal gerade auf großen, interdisziplinären Intensivstationen unterstützen, die Patienten zu finden und besser zu überwachen, welche ein hohes Risiko haben, sich zu verschlechtern. Durch die Einsparung unnötiger Untersuchungen gewinnt man wichtige Zeit für das Personal und der Patient wird nicht zusätzlich belastet.
Was sind Ihre weiteren Pläne?
Willms: Wir versuchen zunächst durch unsere «Silent Validation» aufzuzeigen, dass diese Unterstützungssysteme dem Patienten nicht schaden, um so eine vorrübergehende oder «in-house» Zertifizierung zu erlangen. So könnten wir den Algorithmus in unseren klinischen Alltag integrieren und eine grössere Studie durchführen. Natürlich wollen wir auch unsere Algorithmen an anderen Kliniken validieren und verbessern.
Grundsätzlich könnte man sich auch vorstellen, unser ICU Cockpit an weiteren Kliniken zu implementieren, so dass an diesen dann ebenso Algorithmen in Form einer «Silent Validation» überprüft werden könnten.
Vanessa Vater, Frankfurt am Main,
DGNI-Pflegewissenschaftspreis
Waren Sie überrascht, für Ihre Arbeit „PRONeuro“ den DGNI-Pflegewissenschaftspreis zu bekommen?
Vater: Ich war überrascht und gleichzeitig habe ich mich sehr über diese Auszeichnung gefreut. Ich bin mir sicher, dass in allen eingereichten Projekten viel Arbeit steckt. Umso mehr empfinde ich es als große Wertschätzung, dass „PRONeuro“ ausgewählt wurde. Es ist großartig, dass die DGNI mit diesem neu geschaffenen Preis ein Zeichen für die Bedeutung pflegewissenschaftlicher Forschung in der Neuro-Intensivmedizin setzt. Der Preis unterstreicht, dass die Reduktion mechanischer Fixierungen auf Intensivstationen nach wie vor ein relevantes Thema ist, das weiterer Lösungen bedarf. Durch die DGNI-Unterstützung habe ich die Möglichkeit, mit meinem Team weiter daran zu arbeiten. Die bisherigen Erkenntnisse und Projekterfolge wären ohne die engagierte Mitarbeit und Unterstützung meiner Kolleg:innen nicht möglich gewesen. Mein besonderer Dank gilt daher auch den Teams der Neuro-Intensivstation der Universitätsmedizin Frankfurt sowie meinen Kolleg:innen aus der Stabsstelle Pflegeentwicklung.
Welche Bedeutung hat die Auszeichnung für Ihre berufliche Laufbahn?
Vater: Die Auszeichnung ist für mich eine große Anerkennung und Motivation zugleich. Sie bestätigt, dass pflegewissenschaftliches Engagement und Forschung in der Intensivmedizin wahrgenommen werden. Für meine berufliche Laufbahn eröffnet es neue Möglichkeiten und ich kann das Thema freiheitsentziehende Maßnahmen stärker in den fachlichen Austausch einbringen. Gleichzeitig ist es ein Ansporn, die Verbindung von Praxis und Wissenschaft weiter auszubauen.
Wie soll es nach diesem Erfolg weitergehen?
Vater: Ich stehe am Anfang meines Forschungsvorhabens, das nun in die Umsetzung geht. Ich möchte mit meiner Arbeit dazu beitragen, dass Pflegefachpersonen befähigt werden, in komplexen Entscheidungssituationen sicher, reflektiert und evidenzbasiert zu handeln. Bisher wird das Thema in den deutschen Leitlinien kaum berücksichtigt. Ein Ziel ist es, durch diese Arbeit mehr Aufmerksamkeit auf dieses bislang wenig beachtete Feld zu lenken und es stärker in fachliche und wissenschaftliche Diskurse einzubringen. Langfristig soll das Projekt dazu beitragen, fundierte Erkenntnisse zu generieren, die nicht nur die pflegerische Praxis unterstützen, sondern auch in Leitlinien, Handlungsempfehlungen und ethische Entscheidungsgrundlagen einfließen können. Denn nur wenn das Thema sichtbar gemacht wird, kann sich auch auf struktureller Ebene etwas verändern.
Dr. Paul Naser, Heidelberg,
DGNI-Nachwuchsförderungspreis
Welche Bedeutung hat diese Auszeichnung für Ihre weitere Forschung?
Naser: Die renommierte Auszeichnung der DGNI stellt einerseits eine große Ehrung für unser Team dar, und unterstreicht andererseits die Relevanz unserer Forschung für das gesamte Feld. Persönlich war auch die Preisverleihung auf der diesjährigen ANIM ein Highlight, und ich freue mich den Kolleginnen und Kollegen nächstes Jahr die Ergebnisse präsentieren zu können. Durch die Förderung können wir nun so richtig mit der Analyse loslegen und mit den Fördermitteln unsere Rechnerkapazität ausbauen und beispielsweise auch unseren Doktoranden Zuschüsse für Kongressbesuche ermöglichen. Ich denke, dass wir über die nächsten Jahre in diesem Feld noch einen enormen Fortschritt sehen werden, durch Förderungen wie dem Nachwuchsförderungspreis können wir vorne mitspielen.
Können Sie uns kurz einige zentrale Ergebnisse ihrer Forschung erläutern?
Naser: Traditionell wurden alle Patientinnen und Patienten, die an einem Hirntumor operiert wurden nach der OP auf einer Intensivstation zumindest eine Nacht überwacht. Dass die Kapazitäten der Intensivstationen endlich sind, ist seit der Corona-Pandemie auch in den öffentlichen Fokus gerückt. Selbst an großen Zentren, an denen fünf oder zehn Hirntumorpatienten am Tag operiert werden, ist es daher schwierig, Kapazitäten für alle Patienten vorzuhalten. Die Maximalversorger müssen schließlich auch die Notfallversorgung der Bevölkerung sicherstellen. Zudem wissen wir, dass die allermeisten Patienten eine intensivstationäre Überwachung nach einer Hirntumoroperation gar nicht brauchen und ein Aufenthalt auf der Intensivstation auch negative Folgen haben kann. Vor einer Operation ist es jedoch oft schwierig einzuschätzen, welche Patienten genau eine solche Überwachung brauchen - und welche nicht. In unserer Gruppe hatten wir uns daher der Fragestellung gewidmet, ob künstliche Intelligenz eine Möglichkeit bietet, anhand von präoperativ vorliegenden Daten eine Risikoeinschätzung zu liefern. Unsere Vorarbeiten zeigen, dass das ganz gut funktioniert, der Algorithmus aber zig Datenpunkte benötigt, um eine exakte Diagnose zu stellen. Diese vor einer Operation zu erheben ist sehr zeitaufwändig, sodass wir uns gefragt haben, ob nicht schon das Bildmaterial, d.h. die MRT-Untersuchungen der Patienten anhand derer wir die Operation planen und durchführen, für die KI-Informationen enthält, anhand derer eine Einschätzung erfolgen kann. Ein solches System ließe sich relativ einfach in den klinischen Alltag integrieren, da die MRT-Bildgebung ohnehin vor jeder OP durchgeführt wird.
Welche nächsten Schritte planen Sie für „PREDICT-ICU“?
Naser: Wir werden nun versuchen, die präoperativen MRT-Daten in unseren Algorithmus zu integrieren. Auch wenn es aktuell noch etwas nach Zukunftsmusik klingt, hoffe ich, dass wir früher oder später eine Version unseres Algorithmus prospektiv in der Klinik validieren können. Wir freuen uns natürlich auch, mit anderen Kliniken zu kooperieren, um unsere Datenbank zu vergrößern. Sofern hier Interesse besteht, freue ich mich auf Zuschriften.
Allen Preisträgern wünschen wir bei ihren weiteren Vorhaben viel Erfolg!
(Die Interviews führte Katrin Franz)