Zum "NeuroIntenisvPflege-Dilemma" gab es auf der ANIM 2024 erstmals einen Roundtable. Personal binden und finden – wie kann das funktionieren? Es ging um den Personalmangel, der immer herausfordernder wird, die aktuelle Lage mit Pflegenden und ÄrztInnen und die Frage, wie Menschen motiviert werden können, sich für NeuroIntensivmedizin zu interessieren, Wege zu entwickeln und vielleicht sogar Strukturen zu etablieren. Spannende Herausforderungen unter dem Vorsitz von  Prof. Dr. phil. Anne-Kathrin Cassier-Woidasky, Saarbrücken, und Prof. Dr. med. Thomas Westermaier, Dachau.

© Helge Schubert | ConventusWas haben die Patienten von der Krankenhausreform zu erwarten? 
Prof. Westermaier: Der Hintergedanke der Krankenhausreform ist, dass eine rein klinische Indikation zur Behandlung gestellt wird, ohne dass auf die wirtschaftlichen Belange der Klinik Rücksicht genommen wird oder diese im Fokus steht. Es ist in der Vergangenheit immer wieder erkennbar geworden beziehungsweise im Gespräch gewesen, dass Patienten aus wirtschaftlichen Gründen überhaupt behandelt werden, insbesondere operiert werden, wenn eventuell auch eine nicht operative Therapie wirksam gewesen wäre. Oder dass Operationen aus Entgeltgründen anders, beziehungsweise größer und umfangreicher gestaltet worden sind, als sie das eigentlich mussten. Die Krankenhausreform ist so geplant, dass Vorhaltepauschalen die Hauptsäule der Finanzierung darstellen und damit der wirtschaftliche Druck von den Kliniken genommen wird. Der Fokus soll wieder auf den Patienten und die Leitlinien gerichtet und eine wissenschaftlich fundierte Behandlung gelegt werden.

Für den Patienten gute Aussichten. Gleichzeitig gibt es eine Diskrepanz bei der Sicherstellung der Versorgung. 
Prof. Westermaier: Ja, die Struktur der Krankenhausreform, deren eigentliche Details noch nicht bekannt sind, werden dazu führen, dass notwendige Kliniken Vorhaltepauschalen bekommen und nicht notwendige Kliniken schließen müssen. Insgesamt wird das zu einer Reduktion der Krankenhausbetten führen. Da sehen wir ein Problem. Dieses Problem besteht vor allem durch die sich verändernde Altersstruktur der Bevölkerung. Solange sie gesund sind, können ältere Personen zu Hause leben. Doch schnell reichen Partner oder Familie bei einer Erkrankung oder Verletzung nicht mehr aus. Eine Versorgung muss geklärt werden, vorher kann der Patient nicht entlassen werden, auch bei reduzierter Bettenzahl. Das führt dazu, dass andere Patienten ohne schwerwiegende Erkrankungen immer schneller entlassen werden. Es besteht also die Gefahr bei diesen Patienten, dass eine sogenannte blutige Entlassung gemacht wird, bei denen die Heilung noch nicht gesichert ist.

Sehen Sie eine Möglichkeit, diese pflegeintensiven Patienten ohne Reha Potenzial weiter zu versorgen? 
Prof. Westermaier: Das ist unser Aufruf an die Politik. Bevor man eine Krankenhausreform macht, die uns vor größere Versorgungsprobleme stellt und die Akutkliniken vorübergehend zu Pflegeeinrichtungen macht, muss die Versorgungslage gelöst sein. Das heißt, es muss entweder schnelle Lösungsmöglichkeiten für Patienten geben, die medizinisch ausbehandelt sind und eben das Krankenhaus deshalb verlassen sollen. Oder es müssen ausreichend Pflegeeinrichtungen geschaffen werden für Kurzzeit- oder dauerhafte Pflege. Erst dann kann eine Reduktion von Betten in Akutkliniken erfolgen.

Zusammengefasst heißt das, es müssen Voraussetzungen geschaffen werden für eine interprofessionelle Zusammenarbeit zwischen Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und anderen Akteuren der Gesundheitsversorgung. 
Prof. Westermaier: Ja, einerseits, aber primär muss die absolute Zahl an Pflegeplätzen erhöht werden. Oder es gibt auch andere Lösungsmodelle, dass nach abgeschlossener Behandlung der Patient beziehungsweise die Angehörigen an den Kosten für die Versorgung in der Akutklinik beteiligt werden, die nicht mehr notwendig ist. Wenn dies nicht leistbar ist, muss es eine Verpflichtung geben, dass Angehörige die Pflege übernehmen. Das sind Einschnitte ins Familienleben oder auch Berufsleben der Angehörigen, die dann dringend nötig wären.

Wie wäre es mit einer Neuaufstellung der Finanzierung? 
Prof. Westermaier: Die Kostenträger sind in dieser Gesundheitsreform sicherlich kein hilfreicher Faktor. Im Moment erfolgt die Vergütung durch Fallpauschalen. Ein Beispiel: Ein Hirntumor bringt für das Krankenhaus einen Erlös von 11-15.000 Euro, dabei ist es relativ egal, ob dieser Patient drei oder 13 Tage im Krankenhaus ist. Wenn es um die weitere Versorgung geht, ist es für die Krankenkassen sogar günstiger, wenn der Patient im Rahmen dieser Fallpauschalen eine längere Liegedauer hat. Die weiteren Versorgungsmaßnahmen zu Hause oder Reha-Maßnahmen kosten zusätzliches Geld.

Wurde also der Pflege bei dieser Reform nicht der nötige Platz eingeräumt?
Prof. Westermaier: Ja, und das betrifft ganz allgemein die Krankenpflege, Altenpflege, Kurzzeitpflege, ebenso die Rehabilitationsmedizin. Patienten, die als ausbehandelt gelten, können durchaus noch von Rehabilitationen profitieren. Nicht alle, aber einige könnten wieder in ihr gewohntes Umfeld zurück. Natürlich mit erhöhtem Pflegeaufwand. Was wiederum auf eine Vermehrung der Pflegeplätze hinausläuft, die vorher organisiert werden müssen, bevor man überstürzt eine Krankenhausreform macht.

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