Prof. Dr. Bösel, Foto Nach einem kürzlich im New England Journal of Medicine veröffentlichten Paper über eine bei Wachkoma-Patientinnen und -Patienten häufiger als angenommene kognitive motorische Dissoziation („Cognitive Motor Dissociation in Disorders of Consciousness“) wurde Prof. Dr. Julian Bösel, Professor für Neurologie an der Universität Heidelberg, Gastprofessor für Neurologie an der Johns Hopkins Universitätsklinik, Baltimore, USA und 1. Vizepräsident der DGNI, als ausgewiesener Experte für das Thema mehrfach von der Presse befragt.

Der dpa-Bericht mit seiner Stellungnahme zu dem NEJM Paper, wie die Ergebnisse der über viele Jahre durchgeführten internationalen Studie einzuordnen seien, wurde bundesweit veröffentlicht. Die Untersuchung sei „sehr bedeutend“, so Prof. Bösel, und „adressiere unter anderem eine zentrale ethische Frage bei solchen Menschen: ob man die Therapie fortführen sollte oder nicht“.

Weiterhin gibt er im dpa-Bericht zu bedenken: „Wir sollten uns darüber klar sein, dass vielleicht noch mehr bewusstseinsgestörte Patienten als gedacht etwas von dem mitbekommen, was rund um sie vorgeht. Seiner Erfahrung nach sei es noch vielerorts üblich, dass am Bett von komatösen Patienten gesprochen werde, als seien diese nicht da. Viele Pflegekräfte machen das dagegen oft sehr gut, indem sie den Patienten begrüßen, sich vorstellen, ihm sagen, was sie mit ihm machen. Das sollten alle beherzigen, auch Ärztinnen und Ärzte bei der Visite oder Besucher, und etwa am Krankenbett nicht über Angst einflößende Themen sprechen. Wir stehen am Bett und wissen nicht so viel darüber, was wirklich gerade im Schädel los ist, das muss man ganz ehrlich sagen.“

Pfeil orangeSpektrum der Wissenschaft | 21.08.2024 | ext.


Mit dem Titel „Wachkoma-Patient:innen zeigen mehr Reaktionen als angenommen“ läuft jetzt der Podcast "Ne Dosis Wissen" der Apotheken-Umschau, für den Julian Bösel als Experte befragt wurde. Auch wenn die Studie bei jedem vierten der insgesamt 241 Hirnverletzten im Wachkoma, der keinerlei Reaktionen auf die Umgebung zeigte, mittels EEG und funktionellem Kernspin erkennbare Reaktionen im Gehirn nachgewiesen hat, gibt Julian Bösel einschränkend zu bedenken, dass die Ergebnisse der ausgewählten Patientengruppe mit überwiegend jungen Patient:innen nicht auf alle anderen Schädel-Hirntrauma Patient:innen übertragbar seien. Der Nachweis dafür, dass eine kognitiv-motorische Dissoziation mit einer besseren Prognose einhergehen würde, sei gerade mit dieser Studie nicht erbracht. Doch auch wenn daraus keine relevante Konsequenz für Therapieentscheidungen und medizinische Behandlungen von Wachkomapatienten gezogen werden könnte, sei es perspektivisch vorstellbar, dass nach weiterer Forschung kognitive motorische Dissoziationen als prognostisch-diagnostisches Instrument und für neue Therapieentwicklungen genutzt werden könnten. Dazu müsste jedoch erst einmal erforscht werden, ob und inwieweit dieses Phänomen mit einem besseren Ansprechen auf Therapien oder einem besseren klinischen Verlauf einhergehe.

Pfeil orangePodcast "ne Dosis Wissen" | Apotheken-Umschau | 24.09.2024 | ext.