Dr Anke Hierundar | Foto: PrivatWas genau sind die Aufgaben von in der Intensiv- und Notfallmedizin tätigen Psychologen? Zur Qualitätssicherung der psychologischen Versorgung in der Intensivmedizin sowie der klinischen Notfallmedizin hat die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) – mitgetragen von der Deutschen Gesellschaft für NeuroIntensiv- und Notfallmedizin (DGNI) sowie vier weiteren Fachgesellschaften (DGAI, DGIIN, DGINA und DGP) – jetzt ein Paper veröffentlicht. Im Gespräch erklärt Dr. Anke Hierundar, Sprecherin der DIVI-Sektion Psychologische Versorgungsstrukturen in der Intensivmedizin, die Hintergründe für die Entstehung des Papers. 

Weshalb ist es – auch mit Blick auf die Krankenhausreform – wichtig, für das Berufsbild der Psychologen in der Intensiv- und Notfallmedizin ein eigenes Profil zu definieren?

Dr. Hierundar: Vor inzwischen sechs Jahren haben wir innerhalb der DIVI eine eigene, multiprofessionell aufgestellte Sektion für psychologische Versorgungsstrukturen in der Intensivmedizin gegründet. Bundesweit gab es damals nur eine Handvoll teamintegrierte Psychologen auf den Intensivstationen. Die Versorgung erfolgte überwiegend über konsiliarisch tätige Kollegen aus den psychosozialen Teams der Krankenhäuser, aber vielerorts waren gar keine Versorgungsstrukturen vorhanden. Bereits zu diesem Zeitpunkt haben wir es als unsere Aufgabe gesehen, klar zu definieren, was unsere Arbeitsaufträge und Fokusgruppen sind, welche Position wir innerhalb der intensivmedizinischen Behandlung und in den Behandlerteams einnehmen und was wir auf den Stationen aufgrund welcher Handlungslogik eigentlich tun. Nochmals verstärkt wurde der Bedarf eines Berufsbildes durch die zahlreichen Bestrebungen im Zuge der Pandemie, psychosoziale Unterstützung, sowohl für Patienten und Angehörige als auch für die Mitarbeiter in den Kliniken, zu etablieren. Zahlreiche neue Kollegen kamen seither auf den Intensivstationen dazu, unterschiedlich in den Häusern verortet, dabei selten konzeptuell angebunden, häufig nach dem „Gießkannenprinzip“, um möglichst viele Bedarfe zu stillen. Um sowohl diesen neu hinzugekommen Kollegen Orientierung zu geben, aber auch um medizinisch Interessierte Psychologen und psychologischen Nachwuchs für dieses Tätigkeitsfeld zu gewinnen, ist es wichtig, Standards für unsere Arbeit zu formulieren und diese, auch für unsere Teamkollegen und die Entscheidungsträger, transparent zu machen. Wenn wir professionell arbeiten, müssen wir auch bestimmten Qualitätsansprüchen genügen. Welche Standards oder Weiterbildungen braucht unsere Arbeit? Wo sind Schnittstellen, aber auch Unterschiede zu benachbarten psychologischen Tätigkeitsfeldern, etwa zur Psychoonkologie, der Palliativpsychologie oder zur Psychokardiologie? Es gibt große Schnittmengen, aber eben auch Besonderheiten. Trotz zahlreicher Leitlinienempfehlungen und internationaler Vorbilder sind wir nach wie vor in der Intensiv- und Notfallmedizin nicht Teil der Regelversorgung und in der Folge finanziell nicht abgebildet. Es gibt keine Re-Vergütung der psychologischen Versorgung in diesen Bereichen, sondern wir sind damit immer noch eher ein „nice-to-have“, eine zusätzliche Facette der komplexen Behandlung, die sich ein Haus „leistet“. Vor diesem Hintergrund ist es uns ein dringliches Anliegen, durch Transparenz und Standards zunächst in den geplanten Vorhaltekosten der Krankenhausstrukturreform Berücksichtigung zu finden, um eine wirtschaftliche Basis für unsere Tätigkeit zu schaffen.

Welche Erfahrungen haben Sie mit der psychologischen Versorgung in der Notaufnahme bzw. Intensivstation gemacht?

Dr. Hierundar: Nach wie vor ist die psychosoziale Unterstützung der Patienten und ihrer Angehörigen in der Notfall-, als auch in der Intensivmedizin keine standardmäßig vorzuhaltende Versorgungsleistung. Wir sind uns im Klaren, dass nicht jedes kleine Haus oder eine einzelne Notaufnahme einen ausschließlich dort tätigen Psychologen vorhalten kann.Unsere Idee ist es, dass Kollegen, die z.B. auf der Intensivstation tätig sind, bei Bedarf auch für die Notfallmedizin, den Schockraum, die Aufnahme o.ä. hinzugezogen werden können. Speziell für kleinere Häuser wäre das eine Entlastung. Zudem ist die Klinikseelsorge eine weitere großartige Ergänzung zu den psychosozialen Kräften, die Betroffene unterstützen.

Welche Rolle nehmen die verschiedenen Berufsgruppen – Ärzte, Pflegekräfte, Psychologen – bei der psychologischen Begleitung ein?

Dr. Hierundar: Die Anforderungen an das multiprofessionelle Team der Intensiv- und Notfallmedizin sind enorm. Die teamintegrierten Psychologen ermöglichen es den ärztlichen Kollegen und der Pflege, sich auf ihre primären Tätigkeiten zu fokussieren und entlasten dadurch indirekt auch das Team. Selbstverständlich trägt weiterhin jeder einzelne Mitarbeiter durch seine Interaktionen und die Kommunikation mit den Patienten und Angehörigen zu deren psychischem Befinden, zur Zufriedenheit mit der Behandlung und zur Bewältigung der Situation bei. Der Psychologe bringt seine Expertise zusätzlich ein, bedeutet fachliche Unterstützung und auch eine personelle und zeitliche Entlastung. Dies ist nicht als Ersatz zu verstehen, weil "die anderen es nicht gut machen“. Daneben haben Psychologen eine andere Arbeitsweise als die Klinikseelsorge und auch eine andere Position im Team, unterliegen einem anderen Berufsethos und behandeln dadurch mitunter zwar ähnliche, aber eben häufig auch andere Fragestellungen. Idealerweise arbeiten die Psychologen und die Klinikseelsorge ergänzend und in engem Austausch für eine adäquate Begleitung der Patienten und ihrer Angehörigen.

Welche Unterstützung benötigen Ihrer Meinung nach Patienten und Angehörige von Fachkräften?

Dr. Hierundar: Die Patienten und ebenso die Angehörigen kommen grundsätzlich in einer Ausnahmesituation und sind überwiegend im Schock befindlich. Zumeist erfolgt die Aufnahme unerwartet, mit unklarer, sich rasch wandelnder Prognose, in einem hoch technologisierten Setting – ein potenziell traumatisierender Kontext. Hier ist es unsere psychologische Aufgabe, Risikopatienten zu erkennen und psychologischen Interventionsbedarf zu detektieren. Infolgedessen sollen Patienten bei Bedarf unterstützt werden, akute psychische Belastung zu reduzieren. Aus der Psychotraumatologie wissen wir, dass Patienten mit hohen psychischen Belastungen für spätere psychische Folgestörungen prädestiniert sind und zur Prävention Frühinterventionen indiziert sind.

Welche psychologischen Unterstützungsangebote stehen derzeit Patienten und Angehörigen in der Nachsorge zur Verfügung?

Dr. Hierundar: Es gibt bislang keine regelhafte Nachsorge der intensivmedizinischen Behandlung. Nur wenige Krankenhäuser im Bundesgebiet haben in den letzten Jahren eine Ambulanz für intensivmedizinische Nachsorge geschaffen, zum Beispiel am Universitätsklinikum Münster oder an der Charité. Mit dem Paradigmenwechsel hin zur Lebensqualität als Qualitätsindikator ist der Bedarf klar formuliert, es fehlen jedoch weiterhin Strukturen und Konzepte einer adäquaten Nachsorge, ebenso wie die finanzielle Absicherung. Es obliegt daher den Kollegen in den Kliniken, ob und in welcher Form Nachsorgeangebote von ihnen aktuell geleistet werden (können). Die Patienten finden wir stattdessen in den Spezialambulanzen der Primärdisziplinen oder beim Hausarzt, die nur bedingt über den intensivmedizinischen Aufenthalt Auskunft geben können. Das betrifft die psychologische Nachsorge gleichermaßen, wo wir bei Bedarf die Patienten und Angehörigen an die ambulanten Psychotherapeuten oder Beratungsstellen empfehlen.

Wie kann der Erfolg psychologischer Angebote in der Intensivmedizin evaluiert werden?

Dr. Hierundar: Eine schwierige Frage: Das Patienten Outcome hängt ja nicht allein an der psychologischen Versorgung, noch können wir erwarten, dass durch den Psychologen im Team die Mitarbeiterzufriedenheit steigt. Zudem können wir im multidisziplinären Team auch hervorragende Arbeit leisten, selbst wenn ein Patient verstirbt. Ich glaube schon, dass wir eine große Entlastung für alle Fokusgruppen sein können bzw. die Betroffenen unterstützen, die herausfordernde Situation besser zu bewältigen. Es ist daher wichtig, geeignete Kriterien speziell für unsere Arbeit zu formulieren. Noch in diesem Herbst geht dazu ein aktuelles Forschungsprojekt an den Start, in dem wir multizentrisch psychologische Versorgung auf der Intensivstation evaluieren wollen, und zwar im Sinne von akuter Belastungsreduktion. Die Studienlage einzelner psychologischer Interventionen ist methodisch bislang dünn.

Wir drücken die Daumen für ein evidenzgesichertes Berufsbild von Psychologen auf Intensivstationen.
Das Gespräch führte Katrin Franz.

Pfeil orangeUrsprüngliche Meldung der DIVI | ext.